Seit dem 9. Jahrhundert hat sich der Alcázar von Sevilla immer wieder neu erfunden. Je nachdem, ob hier muslimische Kalifen und Emire oder christliche Monarchen residierten. 1972 wird er in die Liste des UNESCO Welterbes aufgenommen. Bis heute wird der Palast mit seinen Gärten gelegentlich von der spanischen Königsfamilie bewohnt. Die Mauren waren die ersten, die hier Obst und Gemüsegärten anlegten. Im zwölften Jahrhundert erliegen auch die Almohaden, eine Berber Dynastie aus Marokko, dem erhabenen Charme dieses Ortes. Sie erbauen einen Palast und nutzen den fruchtbaren Boden für den Anbau von Zitrusfrüchten und Jasmin. Zum Schutz ihrer Bauten, Felder und Gärten errichten sie eine Festungsmauer. Mit der christlichen Eroberung im 13. Jahrhundert endet ihre Herrschaft. Daraufhin lässt Peter der Erste von Kastilien, einen imposanten Palast errichten. Eine Mischung aus christlicher und maurischer Baukunst.
Als die Christen vom Norden her dieses Gebiet eroberten, war es mehrheitlich muslimisch besiedelt. Der Großteil der Bevölkerung lebte weiter im Reich der nunmehr christlichen Könige und arbeitete für sie. Es gibt ein spezielles Wort für die Muslime, die unter christlicher Herrschaft lebten. Modechar ist der Kunst Stil, der in jener Zeit entstand, ist das Ergebnis der Verschmelzung aus christlichen und islamischen Elementen. Dementsprechend bezeichnet man ihn als Modechar Stil. Der Eingang zum Palast von König Peter dem Ersten gibt ein gutes Beispiel für den Modechar Stil, vor allem wegen der Inschrift, die die Fassade schmückt. Das Interessante ist nämlich, dass die kastilische Inschrift, kastilisch war die Sprache der Christen, von einer arabischen umrahmt wird. Es gibt ein Zeugnis von der Koexistenz und der Verschmelzung von Christentum und Islam, die die Herrschaft von König Peter dem Ersten kennzeichnete. Es zeigt uns also, dass unter den Christen im Mittelalter zeitweise eine große Faszination für Kunst und Kunsthandwerk der muslimischen Kultur bestand. Und natürlich für ihre Gärten und ihren Lebensstil im Allgemeinen.
Peter der Erste beauftragt die besten Handwerker aus Toledo, Granada und Sevilla, alles Muslime mit dem Bau seines Palastes und seiner Gärten. Der Mädchen-Hof, der die zentrale Achse der Palast Anlage bildet, ist exemplarisch für die ersten Lustgärten. In der Tradition des Islam hat der Garten eine Vorrangstellung. Er ist eng mit der Vorstellung vom Paradies verknüpft.
Wir stehen in einem Garten, der von christlichen Herrschern in Auftrag gegeben und größtenteils von muslimischen Baumeistern konzipiert wurde. Er hat ein eher islamisches als christliches Flair und verkörpert in gewisser Weise das gesamte islamische Empfinden. Denn im Islam ist der Garten ein Ort des Vergnügens und deshalb wird er in vielerlei Hinsicht mit dem Paradies verglichen. Auch wenn dieses Konzept manchmal kritisiert wird. Nehmen wir zum Beispiel das Wasser. Die Menschen, die in sehr trockenen Gebieten leben, assoziieren Wasser mit einer Oase mit dem Paradies. Denken wir nur an die vier Flüsse des Paradieses. Wasser spielt in islamischen Gärten wie diesem also eine zentrale Rolle. Es steht für Fruchtbarkeit und die Gaben des Lebens.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Vegetation. Auf Steinen ranken sich Pflanzenornamente und oft scheinen sie gehalten zu werden, möglicherweise von Fatimas Hand. Es ist also nicht schwer, einen Bezug zwischen dem irdischen Garten und dem Paradies herzustellen.
Weil der Garten auf zwei Ebenen angelegt ist, kann man hier fast die Baumwipfel berühren. Interessanterweise sind die Gärten oft über zwei Ebenen angelegt. Höchstwahrscheinlich sind sie aus rein praktischen Überlegungen entstanden, weil sie in unserem heißen Klima so die Feuchtigkeit länger konservieren kann. Abgesehen davon bewirkt diese Anordnung auch eine veränderte Wahrnehmung. Normalerweise läuft man unter den Bäumen entlang und nicht auf Höhe der Baumkronen.
Das ist typisch für die Gärten der Almohaden. Es gibt eine Sure im Koran, die das Paradies beschreibt, als einen Ort, an dem die Früchte an den Bäumen in Reichweite der Hände hängen. Diese Gärten über zwei Ebenen erinnern daran. Du brauchst nur die Hand auszustrecken, um die Früchte des Paradieses zu pflücken.
Das Wasser aus dem Guadalquivir wird in einem Wasserturm gespeichert, ehe es die Obst- und Gemüsegärten bewässert oder die Brunnen und Becken speist.
Die Archäologin Lola Robert Doa war für die Instandsetzung Arbeiten an der Hydraulik verantwortlich. Das Leitungssystem ist eindeutig von der hydraulischen Technik der Römer beeinflusst.
Die Römer haben in puncto Wasser Kultur von den Ägyptern gelernt und großartige hydraulische Bauwerke errichtet, wie dieses Aquädukt, der bis zum Wasserturm führt. Er wurde eine Weile nicht mehr genutzt, bis die islamische Welt in wiederentdeckte und auf brillante Weise weiterentwickelte, um ihre Nutz- und Ziergärten zu bewässern. Dabei handelt es sich um ein raffiniertes System. Aus dem Turm läuft das Wasser in dieses Becken, das seinerseits alle weiteren Becken speist, wunderbar wie das überall laufende Wasser in diesem Becken über ein Rohr in das angrenzende Becken des Löwen geleitet wird. Sie haben ein meisterhaftes Bewässerungssystem entwickelt, dem wir all die Pracht und das üppige Grün um uns herum verdanken. Ein großartiges, ursprünglich römisches Bauwerk ist durch die islamische Welt perfektioniert worden.
In der islamischen Gartenbau Kunst ist die Grenze zwischen Verzierung und Bewässerung fließend. In der Tat sind Dekor und Bewässerungssystem, Schönheit und Nützlichkeit nicht voneinander zu trennen. Jeder Wasserkanal ist von bester Qualität. Angefangen bei der Wahl des Materials über die geometrische Komposition, den Neigungswinkel bis hin zu den Leitungsrohren und der Art, wie das Wasser hervorsprudelt. Dieser Garten ist darauf ausgelegt, alle unsere Sinne anzusprechen. Wir riechen den Duft der Pflanzen. Wir hören das Plätschern des Wassers, die Stille, das Zwitschern der Vögel. Wir fühlen die Beschaffenheit der Kacheln, schmecken das Aroma der Zitrusfrüchte. Es ist eine Besonderheit dieser Gärten, dass wir sie mit allen Sinnen wahrnehmen. Im Gegensatz zu anderen, die mehr auf das Auge oder den Intellekt wirken. Diese hier rühren an dein Inneres, und stets ist das Wasser allgegenwärtig. Es stimuliert uns. Dadurch wird der Garten zu einem Paradies für uns Menschen, zu einer Kostbarkeit, die wir mit allen Sinnen genießen.
Die Höfe und Innenhöfe in unmittelbarer Nähe des Palastes entstehen zwischen der maurischen Besatzungszeit und der christlichen Eroberung Andalusiens im 13. Jahrhundert. Ab dem 15. Jahrhundert ersetzen lauschige Lustgärten die ursprünglichen Felder und Obstgärten. Die Abfolge der Gärten unterhalb des Merkur Beckens ist dafür das beste Beispiel. In der Renaissance entstehen der Damen- und der Wasserarchen-Garten direkt an der Almohadischen Festungsmauer. Im 19. Jahrhundert schließlich erstrecken sich ausgedehnte Gärten auch jenseits der Mauer, wie der Garten des Mackée oder der Englische Garten. Die Gärten des Alcásar haben sich je nach der Entwicklung verschiedener Moden und Stile immer wieder verändert und vergrößert.
1612 verleiht Vermondo Resta den neuen Gärten einen manieristischen Touch. Wie im Italien der Renaissance üblich, entwirft er einen Brunnen mit einer Wasser Orgel, den sogenannten Fuente de la Pharma. Durch die Schwerkraft sinkt das Wasser herab und erzeugt dabei Töne, die eine Musik ergeben.
Die Wasserorgel ist reich verziert. Was außerdem auffällt, ist dieser sehr charakteristische Ocker Ton, den man überall im Alcásar wiederfindet. Vermondo Rether, ein Mailänder Architekt, kam zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Sevilla, um im Palast zu arbeiten. Aber er verwendete eine Technik, die seit der Gründung des Alcásar im 10. Jahrhundert bis heute gepflegt wird, die der farblichen Abstufung. Er führte dieselben Farben ein, die schon in der Epoche der Peiffer Königreiche in der Epoche der Almohaden, der Modechar verwendet wurden. Jeder kennt sie. Im Volksmund heißen diese Farben Al Nagra und Calamoscha. Al Nagra ist ein lachsfarben Ton Calamoscha ist gelb. Hier in Sevilla bezeichnen wir auch die Farbe des feuchten Sandboden in der Stierkampfarena als Calamoscha. Der Alcásar mit seinen sieben Hektar Garten und 14000 Quadratmeter bebaute Fläche weist eine ganze Menge architektonischer und landschaftsbaulicher Varianten auf. In dieser Vielfalt gibt es eine Konstante, die Farbe.
Asolejos Keramiken, Stein und Ziegel aus der Umgebung von Sevilla werden als Baumaterialien sehr geschätzt. Im 17. Jahrhundert verändert die Mode der italienischen Gärten die Gewohnheiten. Hier haben wir ein neues Material, das bereits nur in wesentlich dezenter Form in den frühen Gärten des Alcásar verwendet wurde. Am Neptunbrunnen zeigt es sich in wesentlich monumentaler Form.
Mit dem 17. Jahrhundert halten nicht nur neue Kunststile, geometrische Formen, architektonische und landschaftsbauliche Konzepte Einzug, sondern auch neue Materialien. Vermondo Rether führt eine neue Konzeption von Raum und Funktionalität in den Alcásar ein. Zudem brachte er Materialien aus seiner Heimat mit, wie etwa italienischen Marmor. Und er integrierte Elemente aus der damals vorherrschenden Mythologie. Hier sieht man den Meeresgott Neptun.
Außerdem sorgte er für eine Abkehr von der üblichen Bauweise der Brunnen des Alcásar. Nach islamischer Vorgabe mussten sie ebenerdig gebaut sein, denn Wasser entspringt der Erde und soll daher auf dieser Ebene bleiben. Er aber hob das Wasser in die Höhe. Das war ein neues Konzept und ein weiterer Beitrag von Rether.
Im Zuge seines neuen Gestaltungsentwurfs baute der Architekt Vermondo Rether die imposante altmodische Mauer, die die Gärten umfriedet zum überdachten Wandelgang, um. Von nun an hieß sie Galerie der Grotesken. Er bepflanzte die Mauer mit Bruchsteinen, die an den Meeresgrund erinnern, ein dekoratives Element, das von der Renaissance bis zu den pittoresken Gärten des 19. Jahrhunderts sehr in Mode war. So machte er aus einem Festungsbau einen von Säulen durchbrochenen Wandelgang und veränderte die Mauer in ein Belvedere. Von dem aus man die Gärten bestaunen konnte.
Wenn man das sieht, hat man das Gefühl, in Italien zu sein. Diese Pforten zum Beispiel sind typisch, genauso wie der geometrische Beschnitt, der sehr an unsere Renaissance Gärten erinnert. Man könnte tatsächlich von einem italienischen oder zumindest italienisch beeinflussten Garten sprechen. Das erkennt man schon am Schnitt der Pflanzen. Er ist eher geometrisch durchgeplant. Hier folgt die Natur dem Konzept des Menschen. Es gibt ein markantes Ereignis, das den Beginn der Renaissance kennzeichnet. Die Hochzeit von Karl den Fünften mit Isabella von Portugal in Sevilla. Die Trauung wurde in der Stadt abgehalten und die Feierlichkeiten spielten sich im Alcásar und seinen Garten ab. Denn damals war die Stadt das wirtschaftliche Zentrum des spanischen Kolonialreiches. Hier kamen Waren aus Amerika an. Nicht umsonst hieß der Hafen Puerto de Indias. Für Karl dem Fünften, war die Stadt also der ideale Ort für seine Hochzeit.
Karl der Fünfte, ein Liebhaber der italienischen Renaissance, überträgt diesen Stil auch in die Gärten des Alcásar. Aus den lauschigen, zur Einkehr bestimmten und vom maurischen Stil inspirierten Gärten werden offene eher zum Flanieren und Repräsentieren geeignete Gärten. Der nach Karl dem Fünften benannte Pavillon im Alkoven Garten besteht aus Modechar und Renaissance Elementen. Von nun an existieren beide Stile Seite an Seite in den Gärten des Alcásar.
Von dieser Galerie aus können wir das Gesamtbild überblicken. Wir sehen die geometrischen Formen, das gesamte gestalterische Konzept, das der Monarch gefördert hat. Schließlich war Kunst in der Renaissance auch ein Mittel, um Werbung für sich zu machen. Und es gibt keinen geeigneteren Ort, als von erhöhter Stelle aus seinen Gärten zu präsentieren.
Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Romantik, werden die Gärten des Alcásar über die Galerie der Grotesken hinaus erweitert. Im Englischen Garten darf sich die Pflanzenwelt frei entfalten. Die vormals rechtwinkligen Wege winden und schlängeln sich und setzen die aus den Kolonien mitgebrachten Bäume wie Trophäen in Szene.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Pflanzen wie die architektonischen Elemente des Alcásar durch multikulturelle Ergänzungen bereichert, ohne die Spuren der Vergangenheit zu tilgen. Letztlich hat man das Gefühl, dass die Gärten des Alcásar ein sehr schöner Beleg für eine Kultur sind, die nicht auf Spanien, aber auch nicht auf Europa begrenzt ist, sondern die ihre Einflüsse von viel weiter her bezieht. Unsere Kultur geht also deutlich über die Grenzen Europas hinaus.
Das ist tatsächlich eine der Qualitäten des Alcásar, die Mischung aus verschiedenen Stilen, ja sogar eine gewisse Desorientiertheit, darum geht es doch. Der Garten erteilt uns eine Lektion darin, Kulturen miteinander zu verbinden. Das, was fremd und anders zu sein scheint, anzunehmen und die Welt nicht unter dem Aspekt von Grenzen zu sehen.
Wenn Kulturen, Zivilisationen und Pflanzen weit gereist sind, können sie sich und ihre Ideen gegenseitig unglaublich bereichern. Die Schönheit und der Reichtum der Gärten des Alcásar liegen darin, dass sie Stile und Kulturen in sich vereinen, die unserer europäischen zunächst fremd scheinen. Obwohl wir in dieser Hinsicht einen Vorteil haben durch die geografische Nähe zu Nordafrika, ist unsere Volkskultur, wenn auch nicht hinsichtlich der Religion, so doch in manchen Traditionen eng verbunden mit den Kulturen Nordafrikas und den Islam selbst. Hier ist das selbstverständlich.